Herzfaden

#artbookfriday | „Herzfaden“ von Thomas Hettche

Als ich das Buch „Herzfaden – Roman der Augsburger Puppenkiste“ von Thomas Hettche sah, wusste ich: das ist meins. Ein Buch über die Augsburger Puppenkiste – schon ging mir das Herz auf. Erinnerungen an Kindheitstage kamen auf. Sonntage, an denen das Urmel (meine Lieblingsmarionette), der Löwe, der kleine König Kalle Wirsch und die Blechbüchsenarmee im Fernseher liefen und man die Abenteuer gespannt und glücklich miterleben durfte. Auch eine CD gibt es von der Augsburger Puppenkiste, die ich vor Jahren geschenkt bekam und natürlich immer noch in  Ehren halte. Jetzt also das Buch „Herzfaden“ – ein toller Titel, ein Titel zum Nachdenken.

Das Buch erzählt die Geschichte dieses Marionetten-Theaters in zwei Strängen. Die eigentliche Geschichte ist blau gedruckt. Eingeschoben ist eine Gegenwarts-Handlung im Rotdruck, die sich thematisch immer wieder auf die Vergangenheit bezieht bzw. Übereinstimmungen mit der Vergangenheit aufweist.

Ein kleines Mädchen läuft nach einem Besuch der Augsburger Puppenkiste seinem Vater weg und findet sich schließlich auf dem Dachboden des Theatergebäudes wieder. Dort sind alle Marionetten aufgehängt und einige sprechen mit ihr, ebenso wie Hatü, die Tochter von Walter Oehmichen, die eigentlich schon lange tot ist.

Es ist der zweite Weltkrieg, der Vater von Hatü und Ulla Oehmichen wird zum Militär eingezogen. Die Mädchen sind acht und neun Jahre alt. Alles verändert sich. Fliegerbomben fallen über Augsburg, jüdische Mitschüler fehlen plötzlich in der Klasse, jüdische Nachbarn verschwinden. Dann nach Monaten kommt der Vater zurück. Weil er Schauspieler ist, wird er als unverzichtbar eingestuft und zum Landesleiter der Reichstheaterkammer gemacht, obwohl er nicht in der Partei ist. Zu Weihnachten schnitzt er für seine Töchter je eine Marionette, Kasper und Melchior der Heiligen Drei Könige. Er beginnt zuhause ein Marionettentheater zu bauen, zwar provisorisch, aber schon so, dass kleine Aufführungen gemacht werden können. Die erste Aufführung findet 1942 auf Ullas 13. Geburtstag statt. 1944 – ein Bombenangriff auf Augsburg, wobei das Theater samt Marionetten verbrennt. Walter Oehmichen wird wieder zum Militärdienst eingezogen. Die Schwestern müssen zur Kinderlandverschickung nach Schwangau bei Füssen. Dort stößt Hatü auf eine Tischlerwerkstatt, wo sie eine Marionette schnitzen darf – es wird ein Kasper. Ein Jahr später, Augsburg ist von den Amerikanern besetzt, kehrt auch der Vater aus dem Krieg wieder heim. Im Lazarett hat er einen Holzschnitzer kennengelernt und Marionetten geschnitzt. Sein Entschluss ist gereift, sich mit einem Marionetten-Theater selbstständig zu machen, mit der Augsburger Puppenkiste.

„Der gestiefelte Kater“ soll als erste große Aufführung gespielt werden. Es findet sich eine Puppentheater-Mannschaft zusammen, es müssen Marionetten geschnitzt, Bühnenbilder gemalt und Kostüme genäht werden. Am 26.2.1948 findet die Aufführung statt und das Theater ist ausverkauft. Ein Jahr später, nach vielen weiteren Aufführungen entschließt sich die Theatermannschaft, etwas Neues, etwas Modernes zu wagen: den Kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry. Und es wird ein voller Erfolg. Sie lassen einen Reisebus für sich umbauen und reisen zu Gastspieleinladungen in ganz Deutschland. 1953 geht die Augsburger Puppenkiste sogar im Fernsehen mit „Peter und der Wolf“ auf Sendung. 1961 läuft sie als erste Fernsehserie überhaupt mit „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“.

Dieses Buch ist ein „Muss“ für Menschen, die die Augsburger Puppenkiste lieben und mehr über die Gründerfamilie wissen möchten bzw. über die Zeit und die Umstände in denen sie entstanden ist. Es ist sehr interessant, sehr schön geschrieben und ich kann es deshalb nur herzlich empfehlen.

Text und Fotos: cw

#Titel | Herzfaden. Roman der Augsburger Puppenkiste

#Autor | Thomas Hettche

#Verlag | Kiepenheuer & Witsch

#Seiten | 288

#Sprache | Deutsch 

#Erschienen | 10. September 2020

#ISBN | 978-3-462-05256-5

0 Kommentare zu “#artbookfriday | „Herzfaden“ von Thomas Hettche

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Entdecke mehr von Kultur und Kunst

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen