Buzzwordbingo: Immersiv, multisensorisch…

Es gibt Themen, da stehen mir alle Haare zu Berge. Wenn ich die Worte „immersive Ausstellung“ oder „multisensorisches Erlebnis“ höre, weiß ich nicht so recht, was ich davon halten soll. Es hat sich in den letzten Jahren sehr viel auf diesem Gebiet getan und nicht alle Künstlerinnen und Künstler würden ihre Ausstellungen dergleichen beschreiben, obwohl sie es gewiss waren oder sind.

Vor einer Ewigkeit habe ich mir mal von asisi eine Panorama Ausstellung angesehen und war beeindruckt, aber kein Besuch, der mir groß in Erinnerung blieb (ich kann Euch nicht sagen, welches Panorama es war)… ich lese vom immersiven Ausstellungserlebnis „Monets Garten“ in der Alten Münze in Berlin und wollte letztes Jahr unbedingt nach München zu „Van Gogh Alive“, was ich leider nicht geschafft habe – aber nun in Hamburg ist.

Tja, ich war da. In Hamburg. Bei van Gogh Alive. Und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie groß meine Enttäuschung war. Gewiss kann ich diese Ausstellung auf Fotos und in Videos schön aussehen lassen (siehe unten), das ist gar keine Frage. Für fünf Minuten hat mich die Installation auch beeindruckt und dann fragte ich mich nach dem Mehrwert. Was gibt mir diese Ausstellung? Habe ich etwas gelernt? War es nur schön? Oder muss sich vielleicht der ganze „immersive Krempel“ auch mal Kritik anhören?

Ich beginne mit 26 € Eintritt! WTF!? JA! 26 EURO! Was für ein Eintrittspreis! Welch Erwartungen wurden bei mir geschürt! Dann stehe ich im ersten Raum, hohe Decken, eine alte Fabrikhalle, an den Wänden hängen Informationen über das Erlebnis an sich. Ein nachgebauter Raum von Van Goghs Kunstwerk Vincents Schlafzimmer in Arles. Ein Gemälde, das durch seine Einfachheit, Farben, Konturen und Intensität besticht – welches plötzlich vor einem steht. Zack, ein Foto ist schnell gemacht, auf dem Handy sieht es wie das Gemälde aus, aber es steht in 3D vor mir. Faszinierend, aber in dem großen Raum wirkt diese Installation verloren.

Der fließende Übergang zum nächsten Raum besteht aus Informationen zu den Gemälden, die gezeigt werden, es sind die ca. 20 „großen“ Gemälde von van Gogh mit den relevanten Informationen, die auf Infotafeln gezeigt werden. Ich betrete nun eine Art Vorraum mit großen Leinwänden, in der Mitte ein Durchgang zum nächsten Raum – zur großen „immersiven“ Installation.

Was bedeutet immersiv? Bilder, bewegte Bilder? Sound? Viele Leinwände? Eine Choreographie, ein Zusammenspiel all dessen? Stühle, ein paar ausgeleierte Sitzsätze, auf die ich mich definitiv nicht setzen werde, bieten Besuchern Sitzmöglichkeiten kann – stehen ist eher keine Option, da man ansonsten immer jemandem im Weg steht. Ich sitze, ich stehe, immer für 5 Minuten, gucke mir die „Show“ an. Suche den besten Platz. Mache natürlich wie bekloppt Fotos! Stelle nach 35min. fest, die Show beginnt wieder von vorn. Ich habe nun einen Ausschnitt aus van Goghs Schaffen und Leben an seinen verschiedenen Stationen gesehen – auf großen Leinwänden mit lauter Musik.

26 Euro – 35 Minuten – 124 Fotos (!) später stehe ich im Sonnenschein, bin unendlich glücklich, dass ich damals nicht nach München gefahren bin. Meine Enttäuschung ist groß, sehr groß. Ich habe es mir anders vorgestellt, mehr, größer, spektakulärer. Das soll also immersiv sein? Das Gedudel klassischer Musik hängt mir jetzt erstmal zum Hals raus, van Gogh will ich nur noch im Original sehen, so wie überhaupt die Kunst. Ich hab auf Reproduktionen keinen Bock (mehr).

Und nun kommt die nächste Ausstellung nach Hamburg „The mystery of BANKSY. A Genius Mind“ – natürlich bestehend ausschließlich aus Reproduktionen, rein versicherungstechnisch könnte man sich so eine große Show mit Originalen gar nicht leisten. 150 Reproduktionen, Eintrittspreise zwischen 18 und 22 Euro. Ich bin immer wieder erstaunt, vielleicht auch entsetzt, aber dafür werde ich definitiv kein Geld ausgeben. Ich bin fertig mit dem „Erlebnis-Sch***“, freue mich auf meinen nächsten Museumsbesuch und auf Originale, ohne Musik, vielleicht noch einem netten Gespräch über die Kunst. Ende.

„Skagens Museum“ ich freue mich schon wahnsinnig auf Dich! <3

PS: Ok, es gibt noch einen kleinen Nachtrag, wenn ich an ein richtig tolles Kunst- und Museumserlebnis denke möchte, welches ich mit allen Sinnen erlebt habe und wo ich völlig abgetaucht bin und mir unvergessen bleibt, dann war es „Your blind movement“ von Olafur Eliasson (gesehen 2010 im Martin-Gropius-Bau bei der Ausstellung „Innen Stadt Außen“). Die Ausstellung war immersiv, aber dazu der Zeit benutzte zum Glück noch niemand dieses Wort, welches der Spielewelt entlehnt ist, weil die Gamer in ihren Spielen regelrecht abtauchten. „Innen Stadt Außen“ war und ist für mich weiterhin die beste Ausstellung, die ich jemals sehen durfte!

4 Kommentare zu “Buzzwordbingo: Immersiv, multisensorisch…

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  2. Vielen Dank, die Schilderung des Besuchs ist definitiv lebhafter, als die Ausstellung zu sein scheint. Mich schreckt davon schon ab, dass sie als „multisensorielles Kunsterlebnis“ beworben wird. Hör- und Sehsinn verstehe ich, das sind aber nur zwei. Was ist denn „multi“, der Sitzsack zum Fühlen? Da spricht schon ein ganz normales Freilichtmuseum mehr Sinne an. Im Kern scheint es doch eher um „Kino mit Herumlaufen“ zu gehen. Ausstellungen können viel, viel mehr.

    • Stimmt, Freilichtmuseen könnte man ebenfalls als multisensorisch bewerben. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.
      Ich finde, es ist ein schwieriges Thema.
      2024 soll vom TeamLAB auch endlich das Digitalartmuseum in Hamburg eröffnen (https://www.digitalartmuseum.com), ich werde definitiv reingehen, weil ich mich auch darauf schon seit Jahren freue. Aber ich bleibe jetzt aufgrund gemachter Erfahrung ein wenig skeptisch.

      • Ich denke, Ausstellungen sind schon immer multisensorisch. Das Potenzial wird aber ganz oft nicht genutzt. Dafür taucht „multisensorisch“ als Werbebegriff auf. Das meint dann aber nur noch, dass es Ton gibt und Filme oder Bilder, die nicht nur auf einer Leinwand oder einem Bildschirm, sondern „360 Grad“ im Raum zu sehen sind. Und man kann sich im Raum dann auch bewegen – also wie ein IMAX-Kino, in dem man rumläuft. Der Maßstab ist eher Kino/Fernsehen/Computerbildschirm, aber nicht eine Ausstellung, die auch Geruchs- und Tastsinn anspricht und Kommunikation anregt. Schon verrückt, dass „multisensorisch“ in dieser (Werbe-)Verwendung zwar eine Erweiterung behauptet, faktisch aber eine Beschränkung auf ganz wenige Sinne bedeutet. Es werden mehr Sinne angesprochen, als wenn man vor dem Bildschirm zu Hause sitzt, aber viel weniger, als schon eine ganz simple Ausstellung anspricht.

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